Bei der Schweizer Bundesanwaltschaft in Bern sind Kopien der vernichteten Akten in der Atomschmuggel-Affäre Tinner aufgetaucht. Zumindest ein Teil von ihnen soll den Ermittlern zur Verfügung gestellt werden.
Der Bundesrat erwartet nun Empfehlungen von der Atomenergieagentur (IAEA), wie mit jenen Dokumenten zu verfahren ist, die mit Atomwaffen zu tun haben. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) verlangt, dass sämtliche Akten ins Strafverfahren einbezogen werden. Die Bundesanwaltschaft habe im Dezember 2008 festgestellt, dass sich in ihrem Archiv Kopien befänden, über die sie gemäss Beschluss des Bundesrates vom November 2007 nicht mehr hätte verfügen dürfen, teilte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) am 1. April 2009 mit. An jenem Tag verfügte die Landesregierung, umfangreiche Datenträger und Dokumente aus dem Verfahren der Bundesanwaltschaft gegen die Familie Tinner durch die Bundespolizei und unter Aufsicht der Internationalen Atomenergieagentur IAEA vernichten zu lassen. Über den Umfang der nun im Dezember 2008 gefundenen Aktenkopien und den Grund ihrer Archivierung ist bisher nichts bekannt. Nach dem Auftauchen der Aktenkopien beschloss der Bundesrat am 11. Februar 2009 auf Antrag der Bundesanwaltschaft, die Unterlagen von Spezialisten der IAEA im Beisein von Vertretern der Bundesanwaltschaft, des Bundesamtes für Polizei und des Bundesamtes für Justiz begutachten und triagieren zu lassen. Dokumente, die zur Weiterverbreitung von Atomwaffen dienen könnten, wurden dabei markiert. Laut Mitteilung wird die IAEA dem Bundesrat Empfehlungen abgeben, wie mit diesem Material unter den Aspekten des Völkerrechts und der Proliferationsbekämpfung weiter zu verfahren ist.
Die anderen Dokumente stehen für das Strafverfahren zur Verfügung, das sich derzeit in der Phase der Voruntersuchung beim Eidgenössischen Untersuchungsrichteramt befindet. Er werde die Akten mit Interesse anschauen, sagte Untersuchungsrichter Andreas Müller auf Anfrage der Nachrichtenagentur AP. Müller ermittelt im Zusammenhang mit der Proliferation von Nukleartechnologie an Libyen wegen Verstössen gegen das Güterkontrollgesetz und gegen das Kriegsmaterialgesetz sowie wegen Geldwäscherei.
Die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte setzt sich dafür ein, dass die Aktenkopien bis zum Abschluss des Strafverfahrens nicht vernichtet und sämtliche Akten umgehend dem Strafverfahren zur Verfügung gestellt werden. Die Geschäftsprüfungsdelegationl war bereits Ende Januar 2009 von Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf über die Aktenkopien informiert worden. Am 1. april 2009 sprach sich die Geschäftsprüfungsdelegation dann an einer Aussprache mit Widmer-Schlumpf und Bundespräsident Hans-Rudolf Merz für eine Information der Öffentlichkeit aus. Dabei begrüsste sie auch, dass der Bundesrat die Kopien bisher nicht einfach vernichtet hat. Die Brüder Urs Tinner und Marco Tinner und deren Vater Friedrich Tinner werden beschuldigt, zum Atomschmuggel-Netzwerk des «Vaters» der pakistanischen Atombombe, Abdul Qadeer Khan, gehört zu haben. Die Brüder sollen auch mit dem US-Geheimdienst CIA zusammengearbeitet haben.