Während des Innenministertreffens der EU in Luxemburg hat der Vizepräsident der Europäischen Komission und EU-Kommissar für Justiz, Freiheit und Sicherheit, Jacques Barrot, den Vorschlag unterbreitet, in Libyen Auffanglager für potentielle Asylwerber unter Kooperation der EU und des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR zu etablieren – wörtlich ist von "Aufnahmezentren" die Rede. Dort sollten auch gleich die ersten Asylverfahren durchgeführt werden.
Die österreichische Innenministerin Maria Fekter hatte nichts gegen "Infrastrukturen in Libyen" als eine mögliche Maßnahme zum Schutz der EU-Außengrenze im Mittelmeer einzuwenden. Schon Ernst Strasser, ÖVP-Spitzenkandidat für die Wahlen zum Europäischen Parlament am 7. Juni 2009, habe sich in seiner Zeit als Innenminister für "Maßnahmen vor Ort" gegen den Migrationsdruck aus Nordafrika eingesetzt, um das "humanitäre Desaster im Mittelmeer" zu lösen. Nur, dass in Libyen auch Asylverfahren im Namen von EU-Staaten durchgeführt werden könnten, sei "nicht vorstellbar." Tatsächlich sei das nicht leicht zu bewerkstelligen, hieß es in Diplomatenkreisen. Zu klären sei vor allem auf welcher Rechtsgrundlage das basieren solle.
Bei Flüchtlingshilfsorganisationen, die seit 1998 rund 13.600 Tote im Mittelmeer beklagen, sorgte der Vorstoß von Jacques Barrot für einen Aufschrei. Denn der Vorschlag kann in Richtung einer Legitimierung der verschärften Abschiebepraxis interpretiert werden, die Italien seit kurzem pflegt. So wurden bisher insgesamt rund 500 Afrikaner, die von italienischen Patrouillen auf offener See aufgegriffen worden waren, umgehend nach Libyen zurückgebracht. Italiens Innenminister Roberto Maroni sah dies als einen "historischen Wendepunkt im Kampf gegen die illegale Einwanderung". Christopher Hein, Direktor des Italienischen Flüchtlingsrats, sieht darin eine "historische Verletzung des internationalen Rechts." Gemäß der seit 1954 bestehenden Genfer Flüchtlingskonvention (Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge) muss in jedem Einzelfall geprüft werden, ob dem Abgeschobenen dadurch Verfolgung droht. Und Libyen habe überhaupt keine Asylgesetzgebung und sei auch nicht Mitglied der Genfer Konvention, so Hein. Es sei völlig unklar was mit den Menschen nach der Rückstellung geschehe. Dass Italien mit seiner neuen Abschiebepraxis nach allgemeinem Rechtsverständnis eindeutig gegen seine internationalen Verpflichtungen verstößt, wird in Diplomatenkreisen bestätigt. Beim Vorschlag Barrots handle es sich scheinbar um einen "Schnellschuss".
Jacques Barrot werde mit Vertretern Schwedens, das ab Juli den EU-Vorsitz übernimmt, zu Verhandlungen über seine Pläne nach Libyen fahren, kündigte er an.