Anfang September 2005 hat Libyens Ministerpräsident, Shukri Ghanim, die Privatisierung eines der grössten staatlichen Betriebe des Wüstenlandes bekannt gemacht. 80% der Aktien der Getreidemühlen General National Co. for Flour Mills and Fodder (NFM) wurden für rund 167 Mio. $ libyschen Investoren angeboten. Mitarbeiter können die restlichen 20% erwerben.
Mit den NFM gelangt in diesem Jahr ein zweiter grosser Staatsbetrieb zum Verkauf. Im Februar 2005 war mit der Veräusserung des grössten staatlichen Unternehmens, der Arabian Cement Company, die Privatisierung angekurbelt worden, nachdem sie zwei Jahre lang stagniert hatte. Als Anbieter der Aktien fungiert das libysche Wirtschaftsministerium; es hatte auch den Handel mit den Papieren der Arabian Cement Company organisiert. Mit ihm nahm die Staatskasse umgerechnet 320 Mio. Fr. ein. Die Aktien der NFM können seit dem 15. August 2005 gezeichnet werden; es werden 4,4 Mio. Aktien zu umgerechnet je 45 Fr. angeboten.
Arbeiter als Investoren in Kleinbetrieben
Revolutionsführer Muammar el Gaddafi, der De-facto- Herrscher Libyens, hatte im November 2003 zur Privatisierung sämtlicher staatlicher Betriebe in allen Bereichen, sogar im Erdölsektor, aufgerufen. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg, doch wurde mit den beiden Angeboten ein seriöser Privatisierungsanlauf genommen.
Libyens Board of Ownership Transfer of Companies (BOTC) führt eine Liste von 360 Betrieben, welche bis zum Jahr 2008 verkauft werden sollen. Die wenigsten sind so attraktiv wie die Zementwerke und die Getreidemühlen. Seit August 2004 wurden auch 60 kleinere Unternehmen privatisiert. Sie wurden nicht auf der Liste des BOTC geführt und gingen direkt an die Arbeiter.
Das Wirtschaftsministerium ist mit dem Verkauf der Staatsbetriebe betraut und bildet somit das Kernstück einer künftigen Börse. Durch die Privatisierungen sollte der Wohlstand der Bevölkerung vermehrt werden und sollten mehr Einwohner an der Wirtschaft teilhaben, erklärte kürzlich der Sprecher des BOTC, Ibrahim Lamin.
Die Resonanz auf die Aktienemissionen sei allerdings mässig. Das verwundert kaum, bedenkt man, dass Ghadhafi nach seiner Machtübernahme 1969 sämtliche Betriebe verstaatlicht und die Privatwirtschaft gänzlich verboten hatte.
Nun sollen auch Libyens staatliche Banken verkauft werden. Am 12. Juli 2005 begann die Zeichnungsfrist für 83% der Sahara Bank, und bald soll die Wahda Bank privatisiert werden. Da bei den Banken der libysche Schlendrian besonders augenfällig ist, haben sie grosse Mühe, Käufer zu finden. Die Zeichnungsfrist für die Sahara Bank wurde wegen des schwachen Interesses bis Ende Oktober 2005 verlängert. Mehr Beachtung könnten der von Ghanim angedeutete Verkauf der Fluggesellschaft Libyan Arab Airlines und der des Stahlkonzerns Libyan Iron and Steel Company finden. Die Fluggesellschaft hat erst kürzlich ihren Maschinenpark erneuert, zudem ist der Flugplatz, welcher während der Jahre der Sanktionen geschlossen war, renoviert worden. Geplant ist auch der Verkauf von 60% des Rohölverarbeitungs-Unternehmens Tamoil. Er könnte zum Auftakt der Privatisierung des Erdölsektors werden. Tamoil besitzt Raffinerien in Italien, Deutschland und in der Schweiz. In der Schweiz verkauft Tamoil sein Benzin an 500 eigenen Tankstellen.
Bis anhin dürfen nur Libyer Aktien kaufen. Das gilt auch für den Verkauf der NFM. Das Wüstenland importiert 800 000 t Weizen pro Jahr und ebenso viel Mehl. Vor der Verhängung des amerikanischen Handelsembargos in den Jahren 1985 und 1986 waren die amerikanischen Wheat Associates (USW) Libyens Hauptlieferant; als Abnehmer fungierte NFM. Unmittelbar nach der Aufhebung der schwerwiegendsten amerikanischen Sanktionen im September 2004 reisten Vertreter der USW nach Tripolis. Sie boten NFM ein umfassendes Schulungsprogramm für Marktentwicklung an; Mitarbeiter von USW hielten Seminare unter anderem über Weizenqualität und -verarbeitung sowie über sanitäre Bedingungen in Mühlen ab. Die Privatisierung von NFM verläuft durch die Schulung des Personals glatter; gleichzeitig scheinen abermals libysche Grossaufträge an USW zu gehen. Gestärkt wurde die Zusammenarbeit durch den Neubau von Mühlen. Es scheint nun nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis Ausländern erlaubt wird, Aktien libyscher Betriebe, beispielsweise von NFM, zu erwerben.
Quelle: NZZ
05 Oktober 2005
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