"Libyen war vor Verhängung der Sanktionen einer der gesuchtesten Waffenmärkte überhaupt", sagt Michael Khatana von Research and Projections Global, einer in den USA ansässigen Firma, die den internationalen Waffenhandel beobachtet. Russland, die osteuropäischen Staaten, aber auch Italien und Großbritannien würden bald wieder in Libyen anklopfen. Italien stieß erste Gespräche über den Ankauf von Kommunikationssystemen, schnellen Patrouillenbooten und Nachtsichtgeräten deutlich vor der Aufhebung des Embargos am 12. September 2003 an.
Unmittelbar vor der Übernahme der EU-Präsidentschaft durch Italien am 1. Juli 2003 warnte die Europäische Union (EU) den italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi vor einem Sanktionsverstoß. Berlusconi zog sich mit dem Hinweis aus der Affäre, dass es sich um so genannte Dual-use-Technologie handle, die Libyen zu zivilen Zwecken einsetzen wolle - vornehmlich gegen illegale Migranten nach Italien. Spanien sprach weniger als eine Woche nach Ende des Embargos in Tripolis vor. Am 17. September 2003 verhandelte der spanische Ministerpräsident José María Aznar mit Muammar al Gaddafi, einem Kommuniqué zufolge ging es um Abkommen in den Bereichen Öl, Elektrizität, Landwirtschaft und Industrie. Waffen erwähnt das Papier nicht, allerdings ist es auch nicht eben üblich, Gespräche über Rüstzeug offen zu legen. In den Startlöchern steht offenbar auch Südafrika. Max Sisulu, Vize-Chef des südafrikanischen Rüstungskonzerns Denel, hatte nach Vorwürfen wegen mutmaßlicher Waffenverkäufe im Jahr 2002 betont, das Land werde mit Libyen keine Geschäfte machen, so lange die UN-Sanktionen nicht aufgehoben seien. Laut Khatana galt Libyen, das im Jahr zwischen sieben und zehn Milliarden US-Dollar an Öl verdient und 1,5 Milliarden US-Dollar in den Rüstungsetat pumpt, lange als eines der militarisiertesten Länder der Welt. Noch immer verfügt der nordafrikanische Staat über fast 500 Kampfflugzeuge, Jettrainer und Transporter und unterhält eine 76.000 Mann starke Armee, ausgerüstet allerdings mit Material, das überwiegend aus den 70er Jahren stammt. Früher gehörten zur Rüstkammer auch französische und sowjetische Kampfjets und -hubschrauber, schnelle Patrouillenboote aus Großbritannien, Italien und Frankreich, russische U-Boote und Raketen und Hunderte brasilianischer Kampfpanzer und gepanzerter Mannschaftswagen. Heute steht ein Gutteil der Maschinerie still, weil infolge des Embargos keine Ersatzteile mehr geliefert wurden. Die Sanktionen bedeuteten nach libyschen Angaben in den letzten 22 Jahren mehr als 25 Milliarden US-Dollar Verluste und beendeten auch die von Libyen großzügig geleistete Unterstützung unter anderem für die Befreiungsbewegung Polisario in der Westsahara und muslimische Separatisten auf der philippinischen Insel Mindanao. Das 1992 als Reaktion auf das Lockerbie-Attentat vom Dezember 1988 verhängte UN-Embargo wurde aufgehoben, weil sich Libyen zu Entschädigungszahlungen für die Angehörigen der Lockerbie-Opfer sowie für die Familien der 170 Opfer eines 1989 über Niger abgeschossenen französischen Flugzeugs zu leisten.
23 September 2003
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