18 September 2003

Außenminister-Treffen der Arabischen Liga ohne Libyen

Als die Außenminister der 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga Anfang September 2003 Woche über die Wiederaufnahme des Irak berieten, blieb ein Platz leer. Libyens Chefdiplomat Abdul Rahman Schalgham hatte seinen Kollegen mitgeteilt, dass sein Land die Beratungen boykottieren würde, weil es mit dem "aktuellen Status" des Irak nicht einverstanden sei. Die dann einstimmig getroffene Entscheidung wollten die Libyer aber nicht blockieren - aus gutem Grund. Denn die Aufhebung der UN-Sanktionen gegen Libyen stand unmittelbar bevor, und da wollte es sich die Führung weder mit den Arabern noch mit den Europäern verderben. Dieser Schwenk wäre ohne ein Signal von ganz oben nicht möglich gewesen.

Muammar al Gaddafi, setzt alle Hebel in Bewegung, sein Land aus der Isolation herauszuführen - in der Hoffnung, sein 5,5-Millionen-Volk zu beruhigen und seine Herrschaft zu retten. Dieses Ziel lässt er sich Milliarden kosten. Libyen zahlte hohe Summen an die Hinterbliebenen der Opfer zweier Flugzeugabstürze, für die Libyen verantwortlich gemacht wird: die US-amerikanische Passagiermaschine über dem schottischen Lockerbie 1988 und die französische über dem Niger ein Jahr später. Jetzt fährt Gaddafi die Früchte seiner Strategie ein. Seit einiger Zeit schon sagt Gaddafi sich demonstrativ von seinen radikalen Ideen los, die ihm seit seiner Machtergreifung 1969 den Ruf eines Enfant terrible der Weltpolitik eingebracht hatten. Gaddafi, enttäuscht von seinen arabischen Brüdern, die seine Ideen von einer neuen "Umma" (arabische Gemeinschaft) ablehnten, wandte sich Mitte der neunziger Jahre Afrika zu. Noch 2002 ließ er sich zum Wortführer der von ihm mit gegründeten Afrikanischen Union (AU) küren. Doch die Lust auf Afrika ist ihm wohl vergangen, denn er musste erkennen, dass er mit Unmengen von Geld, das er verschiedenen Herrschern zukommen ließ, keinen nennenswerten politischen Einfluss erkaufen konnte. Das afrikanische Abenteuer ihres Herrschers war den Libyern von Anfang an verhasst. Bei einer Arbeitslosenquote von knapp 30 Prozent (etwa 750.000 Libyer sind Beamte) waren etwa zwei Millionen Arbeit suchende Schwarzafrikaner, die Gaddafi ins Land ließ, alles andere als willkommen. Als endgültigen Beweis für den Kurswechsel wurde das Ministerium für afrikanische Einheit abgeschafft. Um das Volk zu besänftigen, gewährte die neu ernannte Regierung von Shukri Ghanem, der als Protegé des ältesten Gaddafi-Sohnes Saif Al Islam al Gaddafi gilt, großzügige Gehaltserhöhungen. Fast gleichzeitig ließ Gaddafi bei einer Rede vor dem Allgemeinen Volkskongress erkennen, dass keine Staatsfirma, nicht einmal im Devisen bringenden, sakrosankten Ölbereich, unantastbar sei. Der Staatssektor, so der Erfinder der Dritten Universaltheorie, sei schlecht geführt worden. Deswegen müsse er abgeschafft werden und dem "Volkskapitalismus" den Weg ebnen. Selbst im Ausland angeheuerte Experten dürften künftig Firmen im Ölbereich führen, ließ er die verblüfften Delegierten wissen. So schwer Gaddafis Äußerungen auch zu deuten sein mögen, seine Selbstkritik lässt erkennen: Libyen streckt seine Hand aus - vor allem in die Richtung der Ölmultis.

"Es geht vor allem um die Beziehungen zu den USA. Nach der Übernahme der Verantwortung für das Lockerbie-Attentat hofft Gaddafi, mit den USA wieder ins Gespräch kommen zu können", glaubt George Joffe, der Vizechef des Londoner Royal Institute of International Affairs. Gaddafi predigt zwar seit kurzem die "Diversifizierung" der einheimischen Industrie und setzt vor allem auf den Fremdenverkehr. In Tripolis sind bereits einige gute Hotels entstanden, eine Tourismusbehörde unter Ex-Premier Ammar Latif soll das ehrgeizige Projekt "ohne bürokratische Hemmschuhe" vorantreiben, ein Fünfjahresplan sieht Gesamtinvestitionen in Höhe von rund sieben Milliarden Dollar vor. Dennoch bleibt Libyen vom Ölsektor abhängig. Und der präsentiert sich nicht in allzu guter Verfassung. Zwar arbeiteten allen Sanktionen zum Trotz manche italienische Firmen weiterhin im Land. Doch wichtige Förderanlagen konnten in den letzten zehn Jahren nicht mehr repariert und Ölvorkommen nicht neu erschlossen werden. Die Folge: Die Öleinnahmen gingen stark zurück, Gaddafi konnte die dem Volk seit Jahren als Gegenleistung für dessen Wohlverhalten fest zugesagten Subventionen in allen Bereichen kaum noch einhalten. Unmut keimte auf. Nach dem Einmarsch der USA in den Irak und dem Sturz Saddam Husseins sah Gaddafi wohl auch die eigene Sicherheit gefährdet und setzte auf Versöhnungskurs. Die Entscheidung der UNO vom vergangenen Freitag wurde in Tripolis mit Jubelfeiern und Hupkonzerten begrüßt. Die Erwartungen sind groß. Aber es bleibt die Frage, wann die USA ihre bilateralen Sanktionen aufheben werden. Washington hält sich noch bedeckt, will Gaddafi noch genauer als bisher auf die Finger gucken. Das gilt besonders für die in Libyen missachteten Menschenrechte. Auch in diesem Bereich ist Gaddafi zu einigen kosmetischen Veränderungen bereit. Schließlich weiß er: Der Erhalt seiner Alleinherrschaft sowie die Weitergabe an seinen Sohn hängt davon ab, wie gut es seinem Volk geht. Eine Revolution würde alles gefährden.

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